Sie sind hier: Startseite » Berichte

Neue Musiklesung mit alter Gitarre

Am 21. März um 19 Uhr begrüßte der Moderator im Café FilmBühne auf ungewöhnliche Weise. Man nahm es ihm nicht wirklich ab, dass im Vorfeld etwas schiefgelaufen war und er nun mit Zweithocker und Zweitgitarre, aber ohne Noten antrat, um sich selbst musikalisch einzubringen. Rudi Fichtl ist schließlich bekannt für seine perfekt konzipierte Satire. Und perfekt erschien auch der Abend, trotz der unglücklichen Fügung – oder vielleicht gerade deswegen. Der Hocker stützte, die Gitarre hatte einen wunderbar weichen Klang, die melodischen Töne perlten förmlich ins Ohr und nur ein einziges Mal war Rudi leicht verunsichert und startete das Zwischenspiel nochmal. Er war also perfekt vorbereitet nach gewiss vielen Übungsrunden angetreten.

Mit kurzen Fingerübungen führte er in den musikgeladenen Abend ein und Strawinski hätte seine Freude daran gehabt, denn dieses fröhliche Musikstück hörte gewiss nicht viel zu lange nach seinem Ende auf.

Auch Rudis Moderation ließ nichts zu wünschen übrig. Immer wieder pflückte er auch Musik-Zitate kluger Köpfe zwischen den Lesenden ein. Doch lassen Sie uns loslegen: mit dem Los.

Thomas Glatz eröffnete die Leserunde mit textlichen Miniaturen, etwa von der Musik, die keine Umstände machen möchte, daher geht sie direkt in die Seele. Auf der Goethehalde lässt er eine zahme Xenie zirpen und im Abglanz des Himmels die Flügel der Engel schwimmen. Es folgen Töne, aufgereiht wie Rosenkranzperlen, während ein Wulm in Ulm spielt. Ja, genau so.

Musik und Katzen als Fluchtkorridor kredenzt der Moderator von A. Schweitzer.

Dann kommt Sandro Wirth, mit zarten Gedichten, scheinbar schwebend und sanft (eine Hommage an Richard Eitel, den Klaviervirtuosen). Ein Festival im Sand wird ebenso poetisch transponiert wie die Brandung, die im Poeten widerhallt, die Schwingungen, die ihn durchfließen, seien sie von einem Tanzritual ausgegangen oder von dem Miteinander, zu dem die Musik verbindet. Resonanz, Konvergenz? Wer weiß das schon? Man genießt.

Ein Glück, dass in Elvis’ Fach Musik nicht nötig war, sprach derselbe durch Rudi.

Boris Schneider bemühte seine Sangeskünste mit dem Ba-ba-ba-, Ba-, Ba-, Banküberfall-Refrain der EAV – hatte aber außer einer gleichnamigen Geschichte tatsächlich nichts Musikalisches mehr dabei. Doch dieser Fantasy-Spuk hatte es in sich: mit Darth Vader, dem Raub historischer Goldmünzen, einem toten Räuber und dem Goldregen für das Mädchen unter der Brücke. Unschwer zu erkennen, dass er in der ihm eigenen spannungsgeladenen Erzählweise das Sterntalermädchen höchst glaubhaft in die Jetztzeit integriert hatte.

Die Gitarre walzerte unter Rudis Fingern einen Freudentanz.

Dann fragte Carmen Kraus im Gedicht, wo Glück wirklich ist. Im Gemälde, in der Musik, einem Botenstoff im Gehirn, einem Gedanken, der uns anspringt? Oder erwächst es dem Empfänglichen einfach so, aus dem Nichts? Es schwingt sich jedenfalls als Lachen in jede Zelle ein in den nächsten Reimen, wenn Vivaldi und Bach selbst die Vögel auf dem Ast vibrieren lassen und die Sechzehntel uns Beine machen.

Klar, dass wir Assisi recht geben, dass ein kleines Lied viel Dunkel erhellt.

Der Lehrer Franz Oberhofer liebt vom Guten das Besondere: dass ein Pantum ein malaysisches Gedicht ist oder dass aus allen Quellen ein Silberfaden funkelt, der Note für Note polyphone Kontrapunkte in die fünf Forellen setzt, bis im kristallenen Dunkel endlosen Tönens ein portugiesisches Fado das Elixier dieser Stadt bewahrt, das in Liedern schlummert. Denn ja, Klang will sich selbst nur atmen. Und er strömt mit Feidmann aus Klezmerhänden, die nach dem Echo greifen, in Trauer beben und ins Lachen sich bücken, offenen Augenlides ein Lied.

Spanisch verträumt bespielte der Moderator sein altvertrautes Saiteninstrument …

Original-Zitat Rudi Fichtl: „Musik klingt manchmal nicht besonders schön.“

Auch Barbara Koopmann wollte ein Zitat ihrem Beitrag vorausschicken, in dem W. Buschs Zeitgenossen Musik als störend empfinden, weil sie Geräusche macht. Musik sei Tonkunst als Lebenselixier, stellte sie fest, die Seelen verknüpft und träumen lässt, die Wünsche erweckt und überhaupt die internationale Muse schlechthin darstellt.

War das ein Schlager, der da aus den Saiten perlte? Rudi lockte damit aus der Pause zur Endrunde.

Martje Herzog-Grohmann las Musikalisches aus ihrem nächsten Buch, das gerade noch geschrieben wird. Alles, was eine Heimat hatte, fuhr nach Hause zu Xmas, nicht so zwei junge Leute, die durch New York flanierten. Er würde eines Tages Regisseur sein, sie studierte noch in der Stadt. Vom Dschungel der Bronx zu Raubvögeln über dem Highway, schlafend bedeckt von Zeitungen bei Minusgraden, heiße Dusche im Hostel und Werners Gedicht über diese wunderbar verbindende Musik, den Messiah von Händel – jeder Ton ein Halleluja!

Daraufhin trug Rudi Klaus Wuchners Kurzgeschichte über ein musikalisches Wohlfühlparadies vor. Von einem Techno-Komponisten und LSD-Konsumenten, der sich damit paradiesisch fühlt, die um ihn Wohnenden aber in die Hölle stürzt. „Er zog ein. Nie hörte man eine Klage von den Nachbarn. Sie sind alle weggezogen.“

Hat von Kleist recht: Ist sie die Muse aller übrigen Künste, die Musik? Das hat was.

Spiel und Spiel und … Break. Neuer Ansatz: Spiel und Spiel und so weiter … Siehe da: Es gelingt!

Lehrer Roland Greißl schwärmte von Behrends klangvollem Atem der Welt, von den Zellen, die sich klingend erneuern im Sieben-Jahres-Rhythmus, von der Symphonie der Getreidehalme auf dem Acker und der Polyphonie unseres Körpers, die wir nicht hören können, Forscher aber festgehalten und für uns hörbar gemacht haben. Man staunte über die Aufnahme dieser „molekularen Musik“ und freute sich doch, einfach in menschlicher Unvollkommenheit die scheinbare Stille der Natur genießen zu können.

Wenn Musik von Gott kommt, wie der früh in Landsberg weilende GI Johnny sagte, und Menschen nur wenige Frequenzen hören können, dann muss das wohl so sein. Und es ist gut.

Da wir gerade beim Thema waren, entführte Mirlo Verdad doch gleich die Zuhörer „am Sonntagmorgen in die Messe“. Während der Weihrauch in den Himmel tanzen lässt, schlummert die Seele noch wie Häslein und Gräslein. Manches Leben macht keinen Sinn und trotzdem steckt man mittendrin. Oder mit Edit Piaf gesungen: „Brüll mich bitte nicht so an! Du weißt es ja, ich kann dann deine Zähne zählen …“

Gut gebrüllt, Löwe! Rudi Fichtl, seine Freunde und Gäste sind sich einig: Das war ein wunderbarer Abend, der gern mal „wiederholt“ werden kann. Freilich unter anderen Vorzeichen, mit anderen Menschen und Texten – wie immer im Autorenkreis: eine Wundertüte! Bei regen Gesprächen an den Tischen klingt der Abend allmählich aus.

Man sieht sich wieder, dann zwei Wochen lang, kein Aprilscherz: vom 1. April bis Palmsonntag, 13.4., im Klostereck. Wo man sich davon überzeugen kann, wie viele Musen den Autoren zur Seite standen: nicht nur in Büchern, sondern auch an den Wänden in Zeichnungen, Gemälden, Fotografien. Herzliche Einladung!

Carmen B. Kraus

Fotos: Thomas Glatz