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Freie Lesung Anfangszauber - 1.2.2019

Von innen heraus verzaubert


Überraschungen kommen im Handumdrehen zustande, Zauber brauchen etwas länger, um ihre volle Strahlkraft zu entfalten. So könnte man es sehen, nachdem die erste freie Lesung des Jahres zum Thema „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ kurzfristig vom 11. Januar auf den 1. Februar des Jahres verschoben werden musste. Dankbar war Roland Greißl, dass Max Dietz ihm die Moderation überlassen hatte, so dass die Autoren ihre neu verfassten Beiträge zum Thema doch noch präsentieren konnten. Aber was genau kam hier zur Sprache?

„Mit Gott fang an, mit Gott hör auf, das ist der schönste Lebenslauf“, so einfach war der frühe Zauber. Bis Hermann Hesse mit seinem Gedicht „Stufen“ 1941 neue Maßstäbe setzte. Die Wirkung war nicht minder förderlich, folgte man schlussendlich seinem Aufruf: „Wohlan, mein Herz, nimm Abschied und gesunde!“ Doch was muss nicht alles gesunden in unserer geschundenen Welt?

Moderator Greißl, der zurzeit auch eine eigene Kolumne in der kritischen Zeitung „OHA“ schreibt, sah vor den rosigen Aussichten so manchen Schleier, der den Glanz verschluckte. Angesichts von Atommüll und Hyperinflation, Fluchtwellen und europäischer Uneinigkeit war es eine Wohltat, dass es auch stabile Größen wie den Landsberger Autorenkreis gibt, der nun schon seit 15 Jahren existiert. Seit seiner Gründung 2004 ist er dabei stetig gewachsen. Mitglieder, Lesungen, Themen nahmen zu, aber auch die Impulse, die einzelne Autoren aus dieser Fülle für ihr eigenes Schaffen mitnehmen.

Das bewährte Losverfahren ließ den Fuchstaler Dieter Vogel zuerst zu Wort kommen. Sein Beitrag zur staden Zeit passte gerade noch in den zeitlichen Rahmen, sollte sie doch einen Tag später, mit Lichtmess, vorbei sein. Vom Reißen und Zerren mit glitzernden Augen, das zutage fördert, was man nicht braucht, über den Verstand, der zuweilen krachend mit in die Luft fliegt, und den Feinstaub, der heute besonders teuer erzeugt wird, bis zum Sinnieren darüber, was uns antreibt, spannte er den Bogen dieser prallgefüllten Zeit, die sich erst postum ihren staden Zusatz verdient.

Die schwer abgerungene Leichtigkeit wollte Dagmar Grünbichler mit einem Harfenquintett unterstreichen, doch kamen die Musiker über das Stimmen nicht hinaus. Die Erkenntnis, dass diese spannungsgeladene Stimmung bereits zum Konzert gehörte, leitete mit einem Lachkrampf denn auch das Ende der ernsten Minuten ein. Doch wie um die Verwechslung mit einer Faschingsveranstaltung abzuwenden, folgte auf dem Fuße die tragische Geschichte einiger Zwischenwörter, in der das dicke UND ein Verbindung einging, auf die sich das zwillingsgesichtige ODER niemals festgelegt hätte, das angeberische MIT sich mit dem anmaßenden AUSSERDEM und dem pampigen SCHON konfrontiert sah, vom zarten DA JA still beobachtet.

So präpariert, waren die Zuhörer bereit für die Philosophievorlesung mit Monika Sadegor: „et incipit vita nova“, ein Neuanfang im Mai für die Frau, die nicht mehr ganz jung, aber auch noch nicht alt war. Nach intensiven Episoden in Afrika, Indien, Passau und München alleinstehend geworden, brachte ein Meditationsurlaub die entscheidende Wende durch einen philosophischen Klarinettisten und einen ebensolchen Professor. Das neue Querdenken schenkte denn auch Erlösung vom Vergangenen und mehr als nur eine Nachlesung beim Italiener.

Dann breitete Jürgen Ostler seine Gedichte aus: vom Anfang des Tages, des Kampfes und des Schaffens. Nachdem also der Sonne Kraft gehoben war, betrat Parzival die Bühne des Lebens und der Geist des Dichters zauberte auf der Suche nach der Minne eine „Geschichte gleich dem bewegten Bild“. Spätestens als der ehemalige Keramiker an den Brennofen trat, wo „der Funke glühet in der Kanne“, Dämpfe aus den Kohlen stiegen, das Kupfergrün beschworen wurde, es möge sich beugen, um Rot zu erzeugen, fühlten sich nicht wenige an Schillers „Glocke“ erinnert, so wortgewaltig war die Sprache des in diesem Kreis noch jungen Autors.

Mit Claire Guinin kam hingegen eine feste Größe der langjährigen Autorengemeinschaft zu Wort. Anfangs begeisterte Zuhörerin, schrieb sie bald selbst lebhafte Anekdoten und Kurzgeschichten, um allmählich auch die Welt der Reime für sich zu erschließen. Kritisch hinterfragt sie in solchen den Anfangszauber im Tag eines Pessimisten, der nicht nur mit dem linken Bein aufsteht, sondern auch verzagt damit hadert, worauf er sich da wohl einlässt. Doch obwohl der Zauber sich zumeist launisch wie das Wetter benimmt, wünscht sie schließlich dennoch allen ein zauberhaftes 2019.

Tina Vogel – frischer kann eine Lesung nicht sein! – gab ihr Debüt nicht nur als Lesende im Landsberger Autorenkreis, sondern als Autorin überhaupt. Infiziert und inspiriert von den vielfältig Schreibenden im familiären Umfeld, gab sie Einblick in die Erweckung ihrer eigenen Schreiblust. Als Kind ehrfürchtig vor dem Schriftsteller-Opa, der reisejournalistisch begabten Mutter und den Abhandlungen des Vaters, der nicht Links-, sondern Rechtsanwalt war, hatte sie Mühe, den Mitschülern diese Berufe nahe zu bringen, schrieben deren Handwerkereltern doch meist nur Bilanzen. Zwangsläufig fügte es sich, dass der Ehemann nicht nur Lehrer war, sondern auch erfolgreich schreiben konnte, ebenso der Sohn. Doch erst im Autorenkreis kam der Impuls, von der Textkonsumentin selbst zur Produzentin zu werden. „Mal sehen, ob’s hält …“

Die Lust am Schreiben brachte auch bei Heidenore Glatz wieder Neues hervor. Zum Jahresanfang machten sich poetisch Arme breit, und auch die Vorsätze summierten sich behende, so dass „Schwimmringgeplagte“ bald wieder zum Jahresanfangssport übergingen. Der heißt übrigens so, weil die Plancollage wie jedes Jahr bald wieder im Müll landet. Dem stellte sie unsere Träume entgegen, die zwar nur tröpfchenweise auf uns niederfallen, dafür aber so freudvoll schwingen, dass das Leben damit auch ganz ohne Anstrengung gelingen wird.

Sichtlich erleichtert gab Moderator Roland Greißl die Pause bekannt, in der ein dermaßen reger Austausch stattfand, dass der Beginn der zweiten Hälfte die meisten überrumpelte. Wie gut, dass die Veranstaltungen in diesem Jahr eine halbe Stunde früher starten, bereits um 19 Uhr, so bleibt auch nach Lesungsende noch ausreichend Zeit zum Fortführen der Gespräche.

„Götterfunke!“ Dieses zündende poetische Gesangsgedicht von Fred Fraas war genau das Richtige zum Neuanfang der geteilten Lesung. Doch mit dem „Märchen, dass jedes Paar sich ewig liebt“ setzte er gewissen Höhenflügen ein jähes Ende, denn „bohrt der Wurm der Widrigkeit“, dann sättigt man schon bald „nur den Hirnstammrand“. Nur wenige seien Herr jener Macht, die zu unterscheiden weiß zwischen „wie wunderbar du bist“ und „… du zu sein meinst“. So ist dann allzu oft statt Götterfunke „schon wieder braune Tunke“ am Dampfen.

An dieser Stelle baute der Moderator eine Überraschung ein. Die Peitinger Autorin Heidi Kjaer war fasziniert von der sprachlichen Schönheit des Gedichtes „Heilig ist das Unbekannte“ von Luis Stefan Stecher (als Maler bekannt durch den „Plauser Totentanz“) und schickte es Roland Greißl zu, der es begeistert vorlas: Als ungesummtes, stummes Lied, als Leere im Flügelschlag der Stille lernte der Autor sie kennen, ein erdenwarmes Daseinsstaunen im kosmischen Getöse und Sternenraunen zärtlicher Lichtgebete – sie, die große, heilige Liebe. Welch bildreiche Sprache!

Nicht leicht hatte es Marianne Porsche-Rohrer, sofort danach ihre Gedichte zu präsentieren. Doch Humor toppt ja alles, und so ließen die Zuhörer sich bereitwillig auf Kürbiskernöl ein, wohlschmeckend und lustvoll, was gleichermaßen den Anfang gesunder Ernährung und einer neuen Romanze einleiten kann. Ja und erst das Lieblingskraut der Kerbel-Bärbel, das den überstrapazierten Gatten verflüchtigt und damit gar zu einem dramatischen Ende führt!

Den süßen Zauber packte Carmen Kraus ins Ende, nämlich als Ausblick auf eine positive Wende, damit das Abschiednehmen umso leichter fällt. Und kommt es dann endlich zum Aufbruch, ja, was nimmt man dann mit im Rucksack der Erinnerungen? Da hatte Gott es wohl leichter, als er einfach das gesamte Chaos in einem Punkt verdichtete und mit einem Urknall die Welt neu hervorbrachte. Doch war wirklich der Knall der Anfang – oder war es die Stille davor?

Von der Leuchtkraft der Liebe zeugte Angelika Müllers wunderbares Gedicht, das eine lichtvolle Brücke zur vorausgegangenen Mutter schlägt und damit eine unendliche, helle Verbindung schafft. Dermaßen froh gestimmt träumt sie von der Lebenssüße einer Reise durch quirlige Gassen und Märkte, dem erhöhten Blick auf sonnige Zypressen und vollendet schließlich lebenssatt einen Kreis wertvoller Wünsche.

Boris Schneiders Held würde ja gern ganz anderes kreisen lassen, wenn er sich nur dem in sein Tagwerk vertieften Beamten verständlich machen könnte. Die erste Geschichte, die der Autor je vor Publikum las, gibt Einblick in seine feine Beobachtungsgabe, das subtile Spiel mit Worten und das Aufbauen eines Spannungsbogens, der seine Kurzgeschichten so lebendig machen. Das vermeintliche Dazwischendrängen des radebrechenden Fremden quittiert der Korrekte jedenfalls mit einer Ignorierungsstrategie, was zwar zu einem erhellenden, aber doch gewissermaßen tragischen Ausgang führt.

Max Dietz lässt sein Alter Ego Suffrinski über die Unmöglichkeit der Wahrnehmung von Gegenwart sinnieren. Selbst der Wunsch, die Zeit in die Zukunft hinauszudehnen, lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass selbst ein kurzes Ticken im Moment der Wahrnehmung bereits Vergangenheit ist. Um nicht rückwärtsgerichtet leben zu müssen, entschließt er sich, wie die Aborigines in eine Traumzeit abzutauchen, um so, ganz wie der Mühlhiasl, die Zukunft vorherzusehen. Zu diesem lotrechten Weg nach Innen kann Schopenhauer gut grinsen, und selbst die Quantenphysik zeigt sich nicht frei von Zwang.

Wie gut, dass Roland Greißl da meditativ auf das Bild einer „Perlenkette der Schöpfung“ zurückgreift. Weil der kindlich junge Verstand beim Anblick der ältesten Gondeln der Welt in Tirol noch keine anderen Vergleiche kennt, greift er auf diese stilisierte Darstellung der sich gegengleich bewegenden Loren zurück – und rettet damit den Zauber des Geschehens in die Erinnerung. Von dort keimt nach Jahrzehnten beim Anblick des Perpetuum Mobiles noch einmal dieselbe wundervolle Stimmung auf, und daraus erwächst der Eindruck, dass sie erst zum Stillstand kommt, wenn die Erde selbst zur Ruhe findet.

Dieter Vogel hilft den Träumenden mit einer lustigen Anekdote wieder in die Gegenwart zurück, und so kann der Moderator die erste Lesung des Jahres zu früher Stunde mit Freuden abschließen, und Monika Sadegor darf verkünden: Am 22. Februar wird das Café FilmBühne den Autoren wieder seine Türen öffnen, dann zur Faschingslesung mit Musik. Einige Zuhörer und Autoren verabschieden sich, andere sammeln sich um einen langen Tisch und besprechen vergnügt das zu Gehör Gebrachte. Der Schein des Anfangszaubers aber leuchtet noch eine ganze Weile nach.

Carmen Kraus