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Freie Lesung Erinnerung - 17.5.2024

Gegenwärtig abgetaucht in Vergangenes


Viele sind an diesem Freitagabend um 19 Uhr ins Deutsche Haus in Waal gekommen, um von Erinnerungen zu lesen oder zu hören. Moderatorin Lore Kienzl begrüßt alle aufs Herzlichste und erläutert kurz mit Fragestellungen das Thema des Abends: „Erinnerst du dich noch?“ Warum tauchen in unserem Leben immer wieder Erinnerungen auf und verschwinden aus unserem Innersten scheinbar genauso schnell wieder? Erinnerungen lassen uns das Leben, unsere Zeit in der Vergangenheit für die Zukunft interpretieren, gemeinsame Erlebnisse in einer Gruppe werden vom Einzelnen unterschiedlich erinnert. Über Augen und Ohren, Mund und Nase erreichen uns Ereignisse und Verknüpfungen mit dem Vorhandenen lassen sie zu Erinnerungen werden, die unser Bauchgefühl im Weiteren beeinflussen. Instinkte sind wichtig, sagt Lore und lässt einen der 17 Namenszettel aus dem Hut ziehen.

Roland Greißls Geschichte schildert eine Begebenheit im Supermarkt: Ein Mann und eine Frau begegnen sich erstmals zwischen den Regalen. „Das wär’s“, stellen sie für einen Moment einvernehmlich fest. Doch „das war’s“ ist die Realität, und beide gehen getrennte Wege. Aber bei einem hatte es „Klick“ gemacht und „nichts war wie vorher“.

Franz Oberhofer liest von dem Schauspieler Bernie, der zwischen Maske und Magie auf der Bühne steht und bei seinem Spiel geliebt werden möchte. Er fühlt sich als Chamäleon, denn das Ich scheint ein anderer zu sein: Das Alter Ego Bernhard steht dann hinter der Tür.

Thomas Glatz weiß nicht, was vor seiner Geburt geschah, aber von der Mondlandung, wie Armstrong mit großen Schuhen den Mond betritt und er selbst mit Claire am Ammersee bei Salzstangen und Sekt den vollen Mond betrachtete. Die Erinnerung zaubert auch die Pril-Werbeblumen hervor, die man überall aufkleben konnte – bunt und langanhaltend.

Barbara Koopmann weiß, dass Unterschiedliches uns ein ganzes Leben begleitet, Erinnerungen wie Perlen, aufgefädelt zu einer Kette, wertvoll und schön anzusehen. Perlen können aber auch Tränen sein, voll Kummer, Sorgen, Traurigkeit.

Dann liest sie vom verstorbenen Autorenkreisgründer Helmut Glatz seine literarischen Eindrücke zu einem ihrer Gemälde in einer Ausstellung in der Säulenhalle: „Die Fliege“, womit sie auch an die 16-tägige Ausstellung unseres Autorenkreises mit Lesungen 2023 im Klostereck erinnert.

George Olivier Pessianis’ philosophischer Text ist ohne ICH. Er zeigt uns keine Erinnerung zwischen Raum und Zeit, ist aber immer zu allem bereit.

Boris Schneiders Beitrag beleuchtet seine Erinnerungen an den Vater, dem er offenbar sehr ähnlich ist, und von dem er auch Familienbräuche für seine eigene junge Familie übernommen hat. Ein Bild der Vergangenheit, das sich in den Ähnlichkeiten der Vorfahren mit Kindern, Enkeln, der Familie widerspiegelt.

Mirlo Verdad liest von einem Taxifahrer, der kein geringerer als Gott selbst ist. Er trifft einen Psychiater und es vollzieht sich allmählich ein Rollentausch, in dem der Psychiater zum Patienten wird. Fast ohnmächtig, kann er sich bald nicht mehr artikulieren.

Klaus Wuchners Text trägt Richard Freeman für ihn vor. Klaus begleitet darin eine Frau nach Griechenland. Wie schon mal vor Jahren erlebt, sind Gerüche, Blumen, Hanfsamen und die schwarzen Silhouetten der Schiffe die Erinnerungen, die in ihn mitreisen lassen – jetzt aber nur noch in Gedanken.

Dieter Vogel schildert eine Zugfahrt in Begleitung von Martin zu einem romantischen Urlaubsziel in Italien. Doch Erinnerungen an den Urlaub in Strandnähe und einen Tisch im Restaurant vor 23 Jahren sind nur bei Martin wach. Dieter sollte mit der Reise überrascht werden ...

Martje Herzogs alte Kurzgeschichten sind aus der Nachkriegszeit: vom Tod des Großvaters im Bombenkrater, vom Zusammenrücken, wo kein Platz mehr war. Von viel Negativem, weil Überleben so viel Kraft und Flexibilität abverlangte; und dann vom Studium über Goethe und Thomas Mann, von afrikanischem Humor und dem Leben mit französischen Kriegssiegern.

An den 2015 verstorbenen Günter Bohn erinnert Lore Kienzl in einem „Schnipsel-Video“: in Fotos Schlaglichter seines Lebens als verkaufstüchtiger Maler in München. Dazu einfache Handyaufnahmen von Eberhard Linck, dem ehemaligen Musikprofessor und Wirt im Deutschen Haus, Kontrabass zupfend, und Günter an der Gitarre singend „Heute hier, morgen dort“ und „Mein Kind, wir waren Kinder“. Seine begeisternde Persönlichkeit war für viele Autoren inspirierend; sie danken Günter Bohn mit kräftigem Applaus.

Benno von Rechenberg erzählt von Moritz’ Traum, der durch eine weibliche Stimme den Glauben an eine neue Zukunft gewinnen soll.

Tina Vogel empfindet nach langer Krankheit die Einladung, sich zu erinnern, als Mutmacher. Erinnerungen sind heilsam, erhellen das Gemüt. Plötzlich kommen Kraft und Neugier auf Neues zurück. Selbst die Muschelschale auf dem Fensterbrett wirkt animierend auf sie ein.

Heidenore Glatz ließ ihren Lederkoffer für die Erinnerungsarbeit mit Senioren zu Hause. Hier ist sie als Autorin und lässt als „Traumschaum“ ihr Leben tropfen: auf Bilder von Blumen im Burggraben, den Nussbaum, Vati und seine BMW, die Jugendjahre. Dann träumt sie sich nach Afrika zu wilden Tieren, sieht Blauwale und spaziert auf dem Tafelberg. Alles Illusion?

Marianne Porsche-Rohrer spricht durch flotte Reime auf die Kopf-Fitness aufmunternd von gesunder Ernährung, vom Lesen und VHS-Kursen: Vielleicht sollte man noch eine Sprache lernen, ein Musikinstrument, um das Abnehmen der Gehirnleistung im Alter aufzuhalten. Ihre eigenen Erinnerungen liegen in der Kraft der (Natur-)Medizin, die sie gern weitergibt.

Richard Freemans Leben ist ereignisreich, voll von physischen wie seelischen Schmerzen und Freuden. Er erinnert sich an seinen Hund „Ash“, der frisch geschlüpfte und verwaiste Entenküken im Kornfeld aufgespürt und dann bemuttert hat. Die Natur erlebt er selbst im Erinnern immer wieder als Hilfe, um sich wohler zu fühlen.

Andrea Sperling liest Lyrik, auch in spanischer Sprache: Erinnerungen wie vorbeifliegende Wolken, Glühwürmchen im Sommerabend, Mondlicht und Sternenhimmel, flatternde Vorhänge in Afrika, Meeresrauschen, gleißendes Licht. Erlebnisse, die im Langzeitgedächtnis ankern und die Fülle gelebten Lebens aufzeigen. Sie werden auch zu Geschichten für Kinder.

Carmen Kraus erinnert der Duft von Holz an Vaters Werkstatt voll Wärme; er transportiert die wohlige Geborgenheit von einst ins Heute. 2013 erlebte sie im Biergarten hier im Deutschen Haus eine Oase des Alltags: Träumerei unter Buchen, Oskars Mundharmonika-spiel, Freude und Freunde, Himmel und tausend Sterne … all das ist jetzt im Gedicht stets abrufbar.
Wir trennen uns im Einvernehmen: Das war ein schöner, harmonischer, wenn auch langer Abend mit vielen Erinnerungen. Wir danken Lore für dieses Thema und wünschen einander eine gute Nacht und frohe Pfingsten.

Barbara Koopmann

Fotos von Roland Greißl, Thomas Glatz und Doris Spang-Oberhofer